The Lie of the Land: Die Lüge/Lage des Landes

Michelle Monareng

 

Urbanes Erbe ist durch die Geschichte hinweg eines der Hauptsymbole der menschlichen Evolution. Es spiegelt Erfahrungen über Kontinenten und Generationen hinweg wieder und beleuchtet die kulturellen, religiösen und politischen Werte der Gesellschaften, in denen es bewahrt wird. Archive sind Aufbewahrungsorte für urbanes Erbe. Sie betonen sowohl die imperialistischen Prozesse von Invasion und Enteignung, als auch die Erzählungen von Belastbarkeit und Widerstand.

Seit vier Jahren arbeite ich mit einem Archiv, das von meinem Großvater, Abram Shikwane, angelegt wurde. Es dokumentiert die Zwangsvertreibung, die 1965 auf der Rietspriut No. 417 I.R. Farm in Heidelberg, ausserhalb von Johannesburg, stattfand. Dieses Archiv besteht aus Zeugenaussagen, schriftlichen Unterlagen wie Memoranden, Fotos, alten Videos und Kassetten. Mein Großvater hat es angelegt, um die gesammelten Dokumente im Rahmen einer Grundstücksklage in 1995 als Beweismaterial vorzulegen und Eigentumsrecht am sogenannten Rietspriut Farmland nachzuweisen. Der Bericht eines Gemeinschaftsmitglieds beschreibt die Ereignisse, die zur Zwangsvertreibung führten und verfolgt die Ursachen und Auswirkungen bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als die Evangelische Mission Berlin der Gemeinschaft schrieb, und anfragte, ob sie auf ihrem Land eine bewohnte Missionsstation errichten könne. Die Gemeinschaft genehmigte und erlaubte ihnen den Bau einer Kirche und einer Schule.

Später empfahl einer der Pfarrer der Gemeinschaft, das Dokument, welches belegt, dass die Ländereinen rechtmäßig ihnen gehören, die Grundstückseigentumsurkunde, in seine Obhut zu übergeben, da es dort sicherer sei. Die Gemeinschaft vertraute ihm und gab ihm das Dokument. Jahre vergingen und die Eigentumsurkunde ging von einem Pfarrer an den nächsten über. In 1913 erklärte der Native Land Act, dass Schwarze von ihren fruchtbaren Ländereinen vertrieben werden sollten, die wiederum den Weißen zugeschrieben werden sollten. Als sie kurz vor der Vertreibung standen, verlangte die Gemeinschaft die Grundstückseigentumsurkunde von den Pfarrern, fanden jedoch heraus, dass das Land nun der Evangelischen Mission Berlin gehörte. Die Gemeinschaft verfügte in 1965 über keinerlei Dokumentation um der Polizei zu beweisen, dass sie die rechtmäßigen Eigentümer waren – oder eher, dass sie die Besitzer dieses Landes sind. Entsprechend wurden sie auf eine andere Farm umgesiedelt, die kleiner und unfruchtbar war. Mein Film Removal to Radium (2013) erzählt diese Geschichte.

Während meines Aufenthalts am ZK/U hatte ich die Gelegenheit, die Berliner Mission und die Grundstücksarchive zu besuchen, um diese Geschichte von einer anderen Perspektive her untersuchen zu können. Ich fand Tagebücher, Briefe, Fotos; es gibt sogar ein Buch über die deutschen Missionare, die damals nach Afrika kamen. Dennoch findet in all diesen Aufzeichnungen eine kontinuierliche Verleugnung der Rolle, die die Berliner Mission bei der Zwangsumsiedlung dieser Gemeinschaft, und bei kolonialen Enteignungen im allgemeinen, gespielt hat, statt. Diese Narrative wurde niedergeschrieben und archiviert, und wurde so Teil der Geschichte. Diese glanzvolle Narrative brachte die Geschichten der Gemeinschaftsmitglieder zum Schweigen… und jetzt existiert dieses Archiv, das den Versionen der Missionare widerspricht. In meinem Projekt geht es also darum, diese Narrative rückgängig zu machen, indem ich mir die Lücken und Pausen genauer ansehe, und externen Stimmen ermögliche, an der Narrative zu rütteln. Ich habe viel Arbeit in die Übersetzung dieser Dokumente von Deutsch nach Englisch investiert, da dies für mich und andere Südafrikaner der einzige Weg ist, diese Archive nutzen zu können, aber die Übersetzung muss in beide Richtungen erfolgen. Meine Arbeit beleuchtet die vorhandenen Diskontinuitäten, Widersprüche und Brüche in den deutschen Geschichtsarchiven und setzt die vorherrschende Narrative zurück, indem sie eine andere Version der Geschichte vorlegt.

Michelle Monareng ist eine bildende Künstlerin aus Johannesburg. Momentan ist sie dabei, ihren Master der Bildenden Kunst an der University of Witswatersrand abzuschließen.